Monate lang habe ich nun mit Heidi trainiert.
Zusammen haben wir viel gelernt und viel erreicht. Dann fing es an mit ihren Problemen. Erst schleichend, dann immer auffälliger: Das unerklärliche Abmagern, die zunehmende Nervosität.
Knapp zwei Monate vor dem geplanten Start der Reise war es also an der Zeit, Bilanz zu ziehen und sich die ehrliche Frage zu stellen : Kann ich es verantworten, Heidi mit auf die Pilgerfahrt zu nehmen?
Ich habe hin und hergerechnet. Habe abgewogen, zwischen der mitzunehmenden Futterration und dem zulässigen Höchstgewicht. Ich habe angefangen, die Route immer und immer wieder abzusuchen, ob nicht doch diese Hauptstrasse umgangen, jener Bahnübergang vermieden werden kann. Im Geiste sah ich uns durch die Städte Biel und Locarno gehen, durch die endlosen Industriezonen Mailands.
Und schliesslich durch die Halbwüste Basilicates, wo es nur Hitze, Sand und Steine aber kaum Futter geben wird.
Es ist nicht zu verantworten.
Und das heisst: Entweder das Projekt ist jetzt tot, oder ein anderes Tier muss her.
Es ging alles unheimlich schnell. Ich fand eine Anzeige «ausgebildeter Trecking Esel, hat bereits den Jakobsweg gemacht und viele andre Langzeit Touren».
«Gamin» heisst er und lebt in Roiffieux, Département Ardèche, in der Region Rhône Alpes.
TGV macht's möglich, gestern bereits unternahm ich mit Gamin und seinen Besitzern eine ausgedehnte Tour durch die mediterranen Pinienwälder in den felsigen Höhen, westlich des Ortes.
Ich habe ihn dauernd mit Heidi verglichen - «Heidi würde hier so reagieren, würde das machen». Derweil trottete Gamin die meiste Zeit brav hinter mir her.
Der Kontakt mit dem Besitzer-Ehepaar, beide erfahrene Säumer und Trekker, hat mir unglaublich gut getan. Ihre Herzlichkeit und ihre vielen wertvollen Tips haben mich motiviert und mir neuen Schwung gegeben. Sie haben sich für mein Projekt begeistert.
Am Abend wurde der Kaufvertrag geschlossen. Gamin ist jetzt meiner.

Nun hat es keinen Sinn, Gamin mit einem teuren Transport zu mir in die Vogesen zu karren. Ich werde daher die Route ändern und ab Roiffieux abreisen.
Der gesamte Schweizer Teil der Route wird gestrichen. Stattdessen geht es über das Vercors Massiv, die Seealpen von Westen hinein nach Italien. Auch die Agglomeration Mailand entfällt so. Erst hinter Genua wird auf die alte, ursprüngliche Route eingebogen.
Das fällt mir nicht leicht. Ich hatte mich sehr auf den Schweizer Teil gefreut, den Gotthard, das Entlebuch, das Maggia Tal...
Aber diese Orte sind nicht «die» Pilgerfahrt. Die Pilgerfahrt, das ist Aldo Moro, Torrita Tiberina, Maglie...Und diese Route bleibt ja.
Entfallen wird auch das Besondere, von der eigenen Haustür aus wegzumarschieren um bis vor Aldos Geburtshaustür in Maglie zu wandern.
Ich werde am 15 April den Zug nach Roiffieux nehmen. Dort werde ich bei Gamins Besitzern noch die letzten Vorbereitungen treffen und am 16 eine Probetour mit vollem Gepäck machen.
Und dann, am 17 April, geht es definitiv auf und davon.
Die Route über Südfrankreich ist wesentlich kürzer, allerdings hat es mehr Berge. Dennoch könnte es sein, dass ich einen ganzen Monat früher ankomme...Vielleicht doch schon im September, statt im Oktober. Dann wäre ich doch zu Aldos Geburtstag in Maglie.
Heidi wird während meiner Abwesenheit auf die Weiden von Maupotel kommen, ich bringe sie dieser Tage dahin. Ein Abschied - auf Zeit - der mir auch schwer fâllt.
Noch kämpfe ich innerlich sehr mir dieser grossen Änderung. Auch wenn ich weiss, dass es das einzig richtige war.